Schön war’s, macht’s gut und danke fur den Tee!

von Mia

Wir sind zwischen Samsun und der georgischen Grenze. Die letzten Meter Türkei liegen vor uns. Zum Abschied lassen wir unsere Erlebnisse noch einmal revue passieren.


Was bleibt uns von der Türkei besonders in Erinnerung? Uns beiden fällt sofort nur eines ein: unbändige Gastfreundschaft. Eine Freundlichkeit, die oft nah an der Grenze zum Erdrücken steht. Wo wir hinkamen, überall wurden wir mit einer uns Deutschen völlig fremden Herzlichkeit empfangen. Leute haben uns zu sich nach Hause eingeladen, Verwandte wurden mobilisiert, um uns einen schönen Empfang in einer fremden Stadt zu bereiten. Wir wurden zu Tee, zum Essen, zum Übernachten und einmal sogar ins Wellness Spa eingeladen. Jeder wollte das Wenige, das er/sie/es hatte, unbedingt mit den beiden seltsamen Deutschen teilen. Viele waren entsetzt, dass wir im Auto schlafen und haben uns ihre Häuser, Wohnungen, Zimmer und Betten angeboten. Manche waren gar pikiert, wenn wir dankend ablehnten. So sehr wir diese echte Willkommenskultur auch genoßen haben, müssen wir beide zugeben, dass sie uns manchmal ganz schön auf die Nerven ging. Tatsächlich genießen wir es sehr, manchmal einfach nur am Strand zu sitzen, zu lesen, unseren eigenen Tee zu trinken und keine Kommunikation betreiben zu müssen. Abgesehen davon sind wir allen Türken und Türkinnen, Kurden und Kurdinnen sehr, sehr dankbar dafür, wie sie uns bei sich aufgenommen und einbezogen haben. Silas und ich sind uns einig, dass wir in keinem freundlicheren Land gewesen sind.

Was bleibt noch? Dadurch dass wir mit dem Auto unterwegs waren, ist uns zum ersten Mal bewusst geworden, wie verdammt groß die Türkei ist und wie verschieden die Menschen sind, die dort leben. Von den Partygängern in Istanbul zu den sehr konservativen Kopftuchfrauen in Rize haben wir so viele völlig unterschiedliche Menschen getroffen, dass es schwer vorstellbar ist, wie sie ein einheitliches Land formen können und wollen. Und dabei waren wir nur in der Nordtürkei…

Seit wir das letzte Mal 2015 hier waren, hat sich einiges verändert. Viele Leute, die wir damals kennen gelernt haben, sind ausgewandert: Nach Deutschland, Australien, Griechenland, Kanada. Kaum einer von ihnen ist noch in der Türkei und die liberalen Istanbuler, die wir dieses Mal kennen gelernt haben, planen ihre Emigration bereits. Einer von ihnen, der nach Thessaloniki gehen will, begründet es damit, dass sie ihr Land für’s erste verloren hätten. Momentan könne niemand etwas daran ändern, deshalb müssen sie woanders Kraft sammeln und dann vereint wieder auftreten. Andere berichten uns von Verfolgungen und Verhaftungen im Freundeskreis wegen Lappalien wie einer Unterschriftensammlung für den Frieden. Erdogan scheint solche und ähnliche Aktionen zu nutzen, um dann alle Unterschreibenden nach und nach einzusacken. Viele haben Angst, dass es bald bei ihnen an der Tür klopft. Insbesondere Menschen mit mehreren Pässen oder internationalen Familien haben Sorge, dass Erdogans Politik ihre Familien auseinander reißen wird. Wir hören von einem Franzosen, der seit Jahren in Istanbul lebt, mit einer Türkin verheiratet ist und einen Sohn hat. Es scheint immer warhscheinlicher, dass sein Visum nicht verlängert wird und er wieder zurück nach Frankreich muss. Seine Frau hingegen hat Ausreiseverbot, weil sie vor dem Putsch in Organisationen aktiv war, die Erdogan nicht gefallen. Was sollen sie nun tun?

Wir als deutsche Touris haben persönlich wenig Veränderung gespürt (das soll für viele Deutsch-Türken anders gewesen sein). Die Türken sind nach wie vor offen, herzlich, freundlich. Ausländer als Touristen sind willkommen, vielleicht sogar noch mehr als vorher. Der neue Staat will zeigen, wie toll er ist und dafür braucht er Botschafter, die seine Offenheit ins Ausland tragen. Die Veränderungen, die seit dem Putsch nach und nach in der türkischen Gesellschaft stattfanden, wurden uns größtenteils zugetragen oder wir merkten es daran, dass bestimmte Leute nicht mehr da sind oder in Gesprächen bestimmte Themen gemieden wurden.

Was uns dann überrascht hat, war die Offenheit von dezidiert konservativ-traditionellen Türken. Sie wählen die AKP seit sie wählen können und waren bisher immer sehr zufrieden mit ihrer Wahl. Auch Erdogan selbst hat einen Haufen Pluspunkte gesammelt, denn er hat sich um seine Leute gekümmert. Er hat Schulen, Kindergärten, Moscheen und vor allem Straßen gebaut (auch wir müssen ihm ein herzliches Danke zukommen lassen für die Topstraße am Schwarzen Meer!). Trotzdem empfinden viele sein neuestes Gehabe als peinlich und übertrieben. Tatsächlich haben wir sogar von der Jandarma (der Dorf-Polizei), die traditionell ein großer Fan von Erdogan ist, harsche Kritik an seiner neustes Politik gehört. Zwar wird vor jedem kritischen Wort einmal um sich geschaut, wer zuhört, trotzdem hat uns diese Stimmung unter Konservativen überrascht. Der Putsch wurde übrigens allgemeinhin von allen Türken, mit denen wir sprachen, als von Erdogan inszeniert bezeichnet – eine allgemein anerkannte Verschwörungstheorie sozusagen.

Trotz aller politischen Schwierigkeiten zwischen „denen da oben“, ist die Türkei ein großartiges Land und wir sind sehr froh und dankbar, dass wir so lange Zeit hier verbringen durften. Wir haben wunderbare Menschen getroffen, neue Freundschaften geschlossen, atemberaubende Natur gesehen und das leckerste Essen gegessen. Danke für 6 wundervolle Wochen – das nächste Mal schauen wir uns den Süden an!

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