von Mia
Verloren in der Wildnis. Vashlovani Nationalpark.
Von Sighnaghi aus fahren wir weiter nach Südosten. Die Straßen werden immer leerer und um uns herum breiten sich Felder aus. Nur in der Ferne sehen wir noch die Berge.
Wir wollen in den Vashlovani Nationalpark ganz im Süden von Georgien. Dafür müssen wir zunächst zum Besuchercenter nach Dedoplistskaro

Die Levanteotter – sehr giftig.
Dann müssen wir noch bei der „Mia Border Police“ vorbei. Da der Nationalpark an Aserbaidschan grenzt, brauchen wir eine polizeiliche Erlaubnis, um ihn zu betreten. Also fahren wir mitten ins Nirgendwo zur Grenzpolizei, wo ein Haufen unterbeschäftigter Polizisten herumhängt. Nach einigem verwirrten Herumstehen unsererseits erbarmt sich einer von ihnen und führt uns zu jemandem, der uns helfen kann. Er lässt seine äußerst wichtig wirkenden Facebook-Gespräche links liegen und nimmt sich unser Anliegen vor. Während er uns per Hand ins Besucherbuch einträgt, betrachten wir diesen seltsamen Ort, an den uns unsere Reise mal wieder geführt hat. Jesusbilder, verhängte Militär-Geheimkarten, volle Aktenschränke, leere Schreibtischplätze, gammelige Kaffeetassen und gähnende Langeweile bestimmen das Bild. Schließlich werden wir mit dem ersten freundlichen Lächeln der Station verabschiedet und machen uns endlich auf den Weg nach Vashlovani.
Georgien besitzt mehrere Nationalparks. Vashlovani ist derjenige im tiefsten Süden, wo aus Berglandschaft erst Felder, dann Steppe und schließlich eine Art Halbwüste wird. Drumherum gibt es natürlich immer noch Hügel, auf denen kleine Pistazienbäumchen wachsen. Es ist wunderschön dort. Nur wäre ein Jeep doch deutlich von Vorteil gewesen. Schon die Straße zum Dorf am Nationalpark entpuppt sich ab der Hälfte als kiesiger Huckelweg.
Dann erreichen wir den Nationalpark:
Die für „normale Autos gedachten Wege“ im Nationalpark bestehen aus Erde, Steinen und mehr Löchern als Straße. 4-wheel-drive, my ass! Jedes Auto, das tiefer gelegt wäre als Bob (also praktisch jedes normale Auto) wäre hier nicht mehr lebend raus gekommen – egal ob mit 4- oder 2-wheel-drive… Aber Offroad-Bob lässt sich von nichts stören. Er fährt und fährt und fährt.
Und wir haben die Orientierung verloren. Zum ersten Mal auf dieser Reise haben wir wirklich keinen blassen Schimmer, wo wir sind. Das passiert natürlich ausgerechnet an einem Ort, an dem im Umkreis von mehreren hundert Kilometer keine Menschen anzutreffen sind. Die Karte aus dem Besucherzentrum und die sogenannte Beschilderung im Nationalpark sind ein Witz. GPS und Handyempfang funktionieren auch nicht. Aber wir geben nicht auf, sondern folgen der Himmelsrichtung, von der wir glauben, dass sie die richtige ist.
So tuckern wir verloren durch die unendlichen Weiten Georgiens. Als es dunkel wird, suchen wir uns ein Plätzchen zum Schlafen und betrachten die vielen Sterne um uns herum. Es ist unglaublich still. Vögel trällern und krächzen, Insekten zirpen und knistern, der Wind rauscht in den Bäumchen und dem hohen Gras, doch von menschlichen Geräuschen fehlt jede Spur. Keine Flugzeuge, keine Autos, kein weißes Hintergrundrauschen. Wunderschön, aber auch irgendwie beängstigend, so ganz ohne andere Menschen zu sein.
Dann wird es richtig dunkel und die Warnungen vor Schlangen, Bären, Hyänen und dem einzigen Leoparden Georgiens drängen sich unaufhaltsam in den Vordergrund. Wir verkriechen uns in Bob und lauschen auf die vielen Geräusche in der Stille. Dann schlafen wir ein…
…bis das Gewitter losbricht. Es donnert und blitzt überall um uns herum und mit Schrecken wird uns klar: Wir sind ein riesiger Metallkasten auf einem Hügel, auf dem nichts höher ist als wir. Was tun wir jetzt? Silas schlägt vor, rauszugehen und sich möglichst klein in eine Kuhle zu legen, weit weg vom metallischen Bob. Ich tendiere zum Drin-bleiben, denn mein Schulwissen macht sich leise bemerkbar: Ein Auto ist doch ein Faradayscher Käfig? Das würde bedeuten, dass wir am sichersten innerhalb der Metallhülle sind. Silas ist nicht überzeugt. Uns beiden wird wieder einmal klar, dass wir von Tuten und Blasen keine Ahnung haben.
Letzten Endes entscheiden wir uns aber doch dafür im Auto zu bleiben und das Gewitter auszusitzen. In den Hügel neben uns schlägt der Blitz ein. Es donnert ohrenbetäubend laut. Der Wind zerrt an Bob. Immer wieder wird es taghell um uns herum. Dann rollt der Donner mit Macht an. So viel Angst hatte ich noch nie in meinem Leben – dabei liebe ich Gewitter normalerweise. Aber normalerweise betrachtet man die Blitze auch aus dem sicheren Inneren eines Hauses. Normalerweise sind die Blitze irgendwo in der Ferne. Normalerweise sind drumherum Menschen, die zur Not kommen und helfen. Normalerweise ist man einem Gewitter nicht so schutzlos ausgeliefert wie wir jetzt gerade. Als es endlich ruhiger wird, atmen Silas und ich erst einmal tief durch. Wir leben noch. Es kann weiter gehen.
Bob tuckert weiter durch den Nationalpark, bis wir plötzlich ein Dach sehen. Die Rangerstation! Menschen! Eigentlich schwer zu glauben, dass wir erst 2 Tage hier sind und Menschen schon etwas ganz Besonderes geworden sind. Wir treffen auf einen äußerst schweigsamen Ranger und schlagen in der Nähe unser Lager auf. Von hier hat man einen atemberaubenden Blick über den Nationalpark. Wir gönnen uns ein Weinchen am Ende der Welt.
Am nächsten Tag machen wir uns von der Rangerstation wieder auf den Rückweg. Ein einsames Schild weist den Weg nach Dediplistskaro. Auf geht’s, zurück in die Zivilisation!